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november, 27th
 
 
the NOTWIST: Talk Talk aus Dixieland
aus Subaudio.net
  

Bodenhaftung, Rock, Musikalität, Postrock, Sentiment, Jazz, Geräusche, Notwist. Platte der Stunde: Shrink. Alles weitere im großen Rundumschlag. Hier das nackte Gespräch.
  

?: Über einen Eintrag in der Band-Biographie mußte ich ja doch etwas schmunzeln - die Sache mit der Dixieland-Band.

Markus Acher (Gesang, Gitarre): Hmm. Das ist mein Vater. Mein Bruder Micha spielt da Trompete, ich spiel’ Schlagzeug und mein Vater spielt Posaune.

?: Ist es jetzt erst dazu gekommen? Ich kann mir das vorstellen als etwas, was in einer jugendlichen Rebellionsphase unmöglich ist, wozu man erst größere Zusammenhänge sehen muß...

MA: Ja, so ähnlich ist es auch. Zu einer bestimmten Zeit war es mehr Verpflichtung, als daß es uns wirklich Spaß gemacht hätte. Aber inzwischen ist uns wirklich wichtig, als Familienangelegenheit, wie auch aus Spaß-Gründen. Man lernt viele Sachen, was den Umgang mit anderen Leuten angeht, musikalisch, und natürlich auch das Spielen selber. Das ist die Bodenhaftung. Eine vollkommen andere Situation. Musik als Gebrauchsmusik. Du bist noch unter dem Kellner in den meisten Fällen. Das fnde ich auch gut. Manche Leuen lachen darüber oder können das nicht verstehen warum wir in irgendwelchen Biergärten spielen, aber ich finde es wichtig. Das ist Realität, in gewisser Weise. Auch finanziell. Ich und mein Bruder leben zum großen Teil von der Dixie-Band, von dem was wir da verdienen.

?: Und wie lange schon?

MA: Ziemlich genau so lange wie Notwist, also ewig lange.

?: Aber ihr habt keinen Anspruch in diese Band irgendwas von euch reinzubringen?

MA: Nee, das ist was ganz anderes. Ich würde auch niemandem die CD geben, daß er sie vielleicht auch noch anhört als Notwist-Einfluß. Das soll abert nicht heißen, daß es mir peinlich ist.

?: Dixieland ist schon harte Musik...

MA: Ja, das stimmt schon. Gerade der Dixieland, der hier in den Biergärten gespielt wird, ist sehr fidel, um nicht zu sagen tralala.

?: Gefällt deinem Vater die neue Platte besser als was ihr vorher gemacht habt? Oder ist Notwist ohnehin zu fern von seinem Koordinatensystem?

MA: Nee, er hört sich das schon immer an und sicherlich kann er mit den neuen Sachen mehr anfangen als mit den alten. Das war einfach zu schwierig für ihn, allein schon vom Klangbild. Die neue Platte gefällt meinem Vater und meiner Mutter.

?: Erwachsene Musik.

MA: Ja, sie denken auch, daß das vielen anderen Leuten gefällt und das beruhigt sie in gewisser Weise, weil das ja das einzige ist, was wir machen.

?: Und wie stehst du zu eurer Vergangenheit? Kannst du die ersten Sachen noch hören? Oder Bands, mit denen ihr damals gespielt habt, Jesus Lizard beispielsweise, die sich im Gegensatz zu euch nicht weiterentwickelt haben?

MA: Also Bands, die heute solche Musik machen, höre ich mir nicht an. Viele Sachen sind einfach zur reinen Form geworden, es hat nicht mehr den Elan. Und durch die ganzen MTV-Bands wurde alles professionalisiert, wurden Formeln aus der Musik übernommen und daraus dieses neue amerikanische Rock-Prinzip gebaut, leise Strophe, lauter Refrain und so. Das hat es so sehr ausgehöhlt, daß man diese Musik echt nicht mehr hören kann. Aber von den alten Sachen gibt es immer noch einiges, was mir gut gefällt.

(zu Martin) Wie ist denn dein Background?

Martin Gretschmann (aka Console und neuer Notwist - Elektroniker): Ähnlich wie der von Notwist eigentlich. Erst Punk, dann Hardcore...

?: Darf ich fragen, wie alt ihr seid?

MG: 24

MA: 29

MG: Naja und dann hab’ ich auch bald in ‘ner Band gespielt, Toxic, die gibts auch immer noch. Das war auch so’n Hardcore-Metal-Gemisch, auch da hat sich die Musik mehr in Richtung Pop und Sampler verlagert. Mit Elektronik-Kram habe so gegen ‘93 angefangen. Mittlerweile ist das mein Hauptbetätigungsfeld.

?: Und wenn ihr jetzt zu Viert auftretet, bedienst du Geräte.

MG: Ja, Sampler, Orgel, ein paar Geräusche, sowas.

?: Und bist du eher der Störer, der psychedlische Überschuß oder hast du auch tragende Elemente?

MG: Naja, am Anfang war es sicherlich eher ersteres, nachträgliches Hinzufügen, mittlerweile gibt es aber durchaus Stücke mit einem elektronischen Grundgerüst.

(zu Markus) Hattet ihr auch ohne Martin schon Elektronik involviert?

MA: Nee, ich hab immer nur mit Leuten was zusammengemacht (es folgen Namen, Verweise..) Ich habe weder einen Sampler, noch kann  ich damit umgehen.

?: Gibt es eigentlich noch den alten Indie-Ethos?

MA: Naja, die Platte zum Beispiel hat schon wieder viel mehr gekostet, als wir uns das eigentlich in unserem Status leisten können. Würde man versuchen, das so lukrativ wie möglich zu gestalten, so würde man erstens wohl eine musikalische Berechenbarkeit einhalten und andererseits billiger aufnehmen und mehr Geld für sich einbehalten. Aber das war uns unmöglich.

?: Gab es mal Bestrebeungen in Major-Richtung?

MA: Nein. Wir haben schon mal drüber nachgedacht, aber das auch nicht weiter verfolgt und von Seiten der Label ist gar nichts passiert. Aber für so einen großen Knall wären wir auch nicht die Typen, das würde nicht gutgehen.

?: Ist es eine Vereinfachung zu sagen, daß die Entwicklung von einer jugendlich-energetischen Live-Band zur Studio-Tüftelei geht?

MA: Nee, das stimmt schon, aber es ist eher eine Erweiterung. Das heißt es gibt mit Notwist so eine Entwicklung, mit Tied & Tickled aber, wo wir im Studio viel strenger und kontrollierter arbeiten, wird es live dann spielerischer. Das gleicht sich immer aus und ich möchte es auch nicht vermissen. Extrem arrangiert live zu spielen würde mich auf Dauer so wenig ausfüllen, daß ich dann wahrscheinlich wieder was Neues beginnen würde, wo man einfach draufhauen kann.

?: Ich kann es mir tatsächlich kaum vorstellen, wie so eine Ballung von Projekten organisierbar ist. Wahrscheinlich nur so, daß man sagt - heute machen wir Notwist, morgend Tied & Tickled...   

MA: Ja, so ist es auch. Es sind immer Zeiträume. Jetzt ist Notwist fertig, wir sind zufrieden und lassen das erstmal ruhen und jetzt ist es so, daß das Arbeiten an etwas anderem anfängt. Konkret geht es um die Live-Umsetzung, danach kommt dann Tied & Tickled...diese Arbeitsform finde ich gut.   
Man kann sich intensiver mit einer Sache beschäftigen, gerade in dem Wissen, daß ab einem bestimmten Punkt etwas anderes kommt. Wenn es immer nur Notwist wäre, die eine Art und Weise und immer dieselben Leute, dann hätte ich längst keine Lust mehr.

?: Ist es in Weilheim eigentlich so, daß du mindestens drei Projekte haben mußt, um dazuzugehören?   

 MA(lacht): Nee gar nicht. Mit die Beeindruckendsten, wie der Typ der ‘Rumpeln’ macht, machen nur ein Ding.

?: War auch eher ein Scherz. Aber hat sich diese im Vergleich zur Größe überdimensionale Kreativität aufgrund eines Studios ergeben? Oder wart ihr der Motor für vieles?

MG: Verschiedene Sachen. Sicherlich initiiert durch Notwist oder auch die Schweisser, wo sich andere gedacht haben, daß sie jetzt auch ‘ne Band machen. Und klar auch’n Studio. Mittlerweile ist es so, daß an die zehn Leute mehr oder weniger selbstständig arbeiten, was dazu führt, daß man immer viel auf die Beine stellen kann. Du kannst halt alles bis hin zum Vertrieb innerhalb von Weilheim organisieren.

?: Ich nehme mal an, daß Tied & Tickled Trio sehr wichtig war für das, was jetzt mit Notwist passiert ist.

MA: Ja auf jeden Fall. Die wichtigste von den anderen Bands und eine echte Initialzündung. Einfach zum ausprobieren, was die Jazz-Einflüsse angeht. Sowas einzubauen konnten wir uns vorher nicht so richtig vorstellen.

?: Hat das was mit Seriösität zu tun? Falls euch ein Wynton Marsalis hört und sagt ‘das ist kein Jazz’?

MA: Nee, das gar nicht. Es ging eher um musikalische Fagen, Jazz kann in so ein Geprotze ausarten, was sehr gefährlich ist. Was ich nie mochte ist dieses Jazz-Core Zeug, wo Jazz immer mißverstanden wurde als Vituosität und möglichst viele Breaks und Rauf und Runter. Wir wollten das auf jeden Fall anders einbauen, wußten aber nicht wie. Die Bekanntschaft zu Johannes Enders hat viel dazu beigetragen, daß wir andere Muster sehen in der Art eines elektronischen Fundaments, das eine Jazz-Rhythmusgruppe austauschen kann, ohne daß es nach Acid-Jazz klingt. Das andere ist, daß wir mit Tied & Tickled zum ersten Mal realisiert  haben im Studio Stücke zu machen, indem wir Spuren über Spuren draufgespielt haben und dann selektierten, danach erst das Stück strukturiert haben. Das war bei der neuen Notwist-Platte ähnlich, da haben wir auch gesammelt, richtig gespielte Sachen wurden elektronisch verfremdet und dann wieder gesampelt und dann wieder geloopt, so daß sich alles vermischt hat.

?: Gibt es auch mal kreativen Stillstand?

MA: Klar. Die Tatsache, daß Notwist mit konventionellen Strukturen arbeitet, hat mich schon oft vor Probleme gestellt, weil ich einfach keine neuen Stücke hatte. Gerade diesmal gab es ein extremes Loch, was aber durch die Tied & Tickled Tour wieder aufgefangen wurde.

?: Aber reine Soundspielereien sind nicht ausreichend? 

MA: Doch ich mag’s schon gern und ich mach’s auch gern. Aber es kommt immer wieder die Lust, das in einen anderen Zusammenhang zu stellen. Das finde ich interessanter - Stücke wo man sich nicht denken würde, daß jetzt gleich irgendwelche komischen knackknarz-Geräusche vorkommen. Sachen mischen.

?: Und Konsum? Kannst du dich in reinen Sound - Struktur - Spielereien verlieren?

MA: Ja, absolut, ich kauf mir viel davon, auch so extremes Zeug, Sachen die klingen, als wenn die Nadel kaputt wäre.

?: Sowas wie Sahkö. 

MA: Ja genau, das mag ich supergerne. Oder frei improvisierten Jazz. Würd’ ich auch gerne machen, aber das Ding ist meistens, daß ich dann denke, erstens können’s andere sowieso besser oder haben’s auch schon gemacht und zweitens (im Hintergrund erschallen die ersten Takte von Mark Hollis’ Solo-LP, Markus schweigt kurz ergriffen) - das war das Stichwort - ist es einfach, wie gesagt, daß ich doch mehr Spaß dabei habe, Sachen zu verbinden, zum Geräusch doch noch den Saxophonisten. Und so.


Holger In't Veld