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Powerline Open
air - The NOTWIST spielen auf der Insel
Gute Gründe, das Open-air-
Festival heute nachmittag auf der Insel zu besuchen, gibt es viele. Das
Wetter und die schöne Lage zum Beispiel. Der Traditionscharakter des
Festivals und das Bemühen der Insel-Betreiber, das Jahr über
ein fast durchweg gutes und ambitioniertes Programm anzubieten. Mit wenig
Geld, versteht sich, weswegen es auch eine Konzertagentur ist, unter deren
Name das Festival in diesem Jahr stattfindet. Und natürlich die Bands:
Die Sterne, Stereo Total, The Notwist, eine Art Leistungsschau deutscher
Popmusik.
Weil die ersten beiden in
Berlin mehr als gute Bekannte sind, dürfte vor allem die Weilheimer
Band The Notwist den höchsten Attraktionsgrad haben. Was so manchen
älteren Insel-Gänger zuerst überraschen dürfte: The
Notwist, sind die nicht auch schon ewig dabei? Mit einer Musik, die im
Augenblick nicht gerade der letzte Schrei ist, irgendwo zwischen US-Gitarren-Underground
und deutscher Indie-Tristesse?
In der Tat, The Notwist
gibt es seit 1989, und ihr 1991 veröffentlichtes Album-Debüt
hatte all das verinnerlicht, was in den Staaten seit Jahren around war
- Melody-Hardcore, verzerrte, laute Gitarren, Dinosaur jr. auf Metalschlingerkurs
usw. - und Anfang der Neunziger in Form von Nirvana und Grunge seinen kulturellen
und kommerziellen Höhepunkt fand. Das gefiel ebenso wie die darauffolgenden
Veröffentlichungen, weil The Notwist in ihren Sound immer eine Verbrechlichkeit
einwoben, die nicht von dieser Welt zu sein schien.
So richtig liebhaben tut
man sie aber erst jetzt mit ihrem aktuellen Album "Shrink". Nicht einfach
weitermachen hieß die Devise, sondern Weiterentwicklung, und das
ist in ihrem Fall mehr als nur eine Worthülse. Wachgeküßt
durch Talk Talks "The Laughing Stock", begann die Band um die Gebrüder
Aicher im Studio mit neuen Klängen zu experimentieren, mit Elektronik
und Jazz, mit Bläsern und Tasteninstrumenten. "Shrink" ist nun das
ziemlich umwerfende Ergebnis: ein ruhiges, melodiöses, geradezu entspannt
wirkendes und in sich geschlossenes Pop-Album, auf dem die neuen Sounds
und Teilchen spielerisch und wie selbstverständlich in das Notwist-
Universum integriert wurden. Fast ganz verschwunden ist dabei die Brachialität
vergangener Tage, sind die Gitarrenwände und Metalbretter. Die zerbrechlichen
Momente aber, die schwebend-melancholischen Stimmungen kommen besser denn
je zum Tragen.
"Smells like Postrock" könnte
man denken, und der riecht ja manchmal recht vergammelt. Doch wenn sich
diese Art von Etikettierung für die "neuen" The Notwist einbürgern
sollte, dann braucht man sich um die Zukunft dieser Musik keine Sorgen
zu machen. Im Gegenteil: Her damit und mehr davon!
Gerrit Bartels |