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november, 26th
 
 
The NOTWIST

Da man sich den Namen dieser Band wirklich merken sollte – The Notwist – muß er heute öfter genannt werden als an anderen Tagen. The Notwist The Notwist. Denn gerade ist ihr neues Album erschienen. The Notwist kommen aus Weilheim, südwestlich von München – das muß man sich allerdings nicht merken, denn dieses Thema verschweigt ihre Musik. Für Oberbayern ist kein Platz im Psycho-Underground.  

1989 von Markus Acher (g/voc), Michael Acher (b) und Mecki Martin Messerschmid (dr) gegründet, waren The Notwist eine bemerkenswerte Abwechslung im Gitarren-Rock-Hardcore- Crossover-Whatever-Dschungel. Im folgenden Jahr erschien ihr Debüt-Album, es folgten diverse Touren und 1992 das immer noch erfreulich verrückte Kopf-Metal-Album ,Nook‘ – Nirvana & Post-Punk hatte diese Band schon damals mehr als verstanden und europäisch weitergedacht. Und während immer mehr Trendividualisten brav alternative an dreiakkordischem Kunsthandwerk feilten, entwickelten The Notwist was ganz anderes; etwas, das ihre Musik bis heute einzigartig macht: Unberechenbarkeit.  

1993 ging die Band mit Therapy? auf Deutschland-Tour, es folgten Gigs in England, Holland und Österreich. Auf der Mini-LP ,Johnny And Mary‘ coverten sie, zusammen mit befreundeten Bands, einen Song von Robert Palmer. Touren, Gigs und 1995 Auftritte mit 18th Dye, unter anderem auch bei Viva in Wah Wah – Blabla. Das dritte Notwist-Album heißt ,12‘, die Single ,Torture Days‘ überzeugte die musikbewertenden Medien und landete u. a. in den britischen Indie-Charts. Weitere Erfolge folgten in Holland, in den USA und sicher auch in Weilheim. 1997 heißt es dann „Wir drei sind vier": Martin Gretschmann wird Band-Mitglied, und der spröde Gitarren-Sound von The Notwist wird mit Keyboards, Electronics, Samples & Jazz-Feeling kontrastiert. Und ,12‘ wird in den USA veröffentlicht, Live-Gigs folgen, das neue Album ,Shrink‘ entsteht...  

Interessant: Die Produkte der mit Notwist seit Jahren verbundenen Dortmunder Company „Community" werden seit Anfang des Jahres vom Musikgroßhändler „Virgin" vertrieben, der so indirekt endlich beweisen konnte, doch noch etwas Gespür für Originalität made in Germany zu haben: Punk-Light von den Bates und Scheiße-pur von den Onkelz, das war ja schließlich nicht die Welt. Herzlichen Glückwunsch! Und hoffentlich nützt es einer Band, wie The Notwist was, daß ihre hochwertigen Produkte nun endlich auf eine Vertriebs-Infrastruktur treffen, die den CD-Händler und damit die Käufer effektiver erreichen könnte als vorher. Denn trotz inzwischen langjähriger, wachsender Erfolge, trotz zahlreicher Nebenprojekte (von Rock bis Jazz, von Filmmusik bis Roll, inklusive CD-Veröffentlichungen der Bands & Projekte Village Of Savoonga, Rayon, Potawatomi, trotz Live-Arbeit mit Family Affair und den New Orleans Dixie Stompers, der Band des Vaters von Michael & Markus Acher) ist die Musik für die vier Notwist-Angestellten mit Zweitjobs kein finanziell lohnendes Gewerbe. Kann sich das mit dem neuen Album ändern? Klar, wenn sich rausstellt, daß The Notwist in Wirklichkeit die Smashing Pumpkins sind. Oder The Residents. Oder Velvet Underground. Denn so ist das nun mal mit den Propheten im eigenen Land: Endlich gelten sie was, aber der Schritt aus dem Underground bleibt schwierig – und gelingt er, dann hat man ja in der Regel bei vielen alten Fans verspielt: „Die werden jetzt kommerziell ..."

Verrückt, wenn man beim Genuß von Shrink merkt, daß Notwist schon jetzt Popmusik spielen, aber eben die von übermorgen. Übermorgen in Deutschland, Pumpkins-Fans! Und außerdem auch anspruchsvolle Musik für im Moment vielleicht etwas enttäuschte Pumpkins-Fans ...  

The Notwist heute: Sie sind Ende 20, haben eigentlich nie was anderes als Musik gemacht, vielleicht mal nebenbei studiert. Seit wann können sich die Beteiligten mit ihrem Job finanzieren, frage ich. Micha grinst: „Ab wann können wir uns damit finanzieren?" Markus Acher: „Seit nächstes Jahr vielleicht?" Aha. Geld kommt von allen möglichen Aktivitäten zusammen, aber immer nur ein bißchen; dabei spielen die oben genannten „Nebenprojekte" eine Rolle. „Mit der Dixie-Band kann man was verdienen, mit den anderen Projekten nicht. Aber das ist schon eine ganz andere Art von Musikmachen mit der Dixieland-Band, das ist die andere Seite der Live-Musik, die wir so kennenlernen. Das kann schon sehr ernüchternd und prägend sein."  

Das 1995er Notwist-Album ,12‘ hat immerhin knapp fünfstellig verkauft, ein beachtlicher Erfolg, der aber letztendlich noch nicht mal nach den Traumvorstellungen riecht, den viele junge Musiker mit einem „Platten-Deal" und einer „Profi-Karriere" verbinden. „Es gibt da viele Mythen, mit denen muß man ganz radikal aufräumen", meint Markus. „Wichtiger ist, wenn man merkt, daß man auch selbst etwas tun kann, zusammen mit anderen Musikern ein Label gründet, und sich so gegenseitig helfen kann eigene Platten zu veröffentlichen und Konzerte zu organisieren."  

18th Dye, Sharon Stoned, Locust Fudge – in dieser musikalischen „Clique" sieht Keyboarder Martin Gretschmann The Notwist. Ich höre ebenfalls gemeinsame Vorlieben mit 18th Dye (die es vielleicht demnächst doch wieder gibt ...?!?), aber auch Stimmungs-Parallelen mit Ex-Velvet-Underground-Chanteuse Christa Päffgen in ihrer Endphase – ,Another Planet‘ vom aktuellen Notwist-Album hört sich an, wie wenn man eine Nico-Nummer mit doppeltem Tempo abspielt. Und direkt anschließend bei Track 4, ,Moron‘, erinnern die Bläsersätze extrem an John Scofields Acoustic-Album ,Quiet‘, bzw. an Gil-Evans-Orchestrationen, ,Electric Bear‘ an Can & an Nico – es ist einfach nur Markus’ traurige Stimme, wobei sein Englisch akzentfreier ist, als ihres – und ,Your Signs‘ hat den Groove eines Van-Morrison-Songs aus der Zeit von ,St. Dominic’s Preview‘. Und da sind schon wieder die Scofield-Bläser ... „Diese Scofield-Sachen habe ich mir auch ziemlich viel angehört", meint Michael Acher. „Aber in erster Linie wegen den Bläser-Arrangements."  

„Mit Nico das ist eher zufällig, die Sachen kennen wir kaum. Aber Can sind schon wichtig, gerade für die Rhythmik: dieses Statische, aber trotzdem sehr Groovige in ihrer Musik ist schon beeindruckend ..."  

Facts: Folgende Alben sind von Notwist erschienen: Notwist (1990), Nook (1992), Johnny and Mary (Maxi-Sampler 1993), 12 (1995), Torture Day (Single 1995), Live (1996), Day 7 (EP 1997), Shrink (1998)  

Die komplette Story über The Notwist, und noch eine Menge mehr, findet man in Gitarre & Bass 06/98  


Lothar Trampert